Warum die Personalentwicklung in Call Centern sich verändern muss
Eine Auflistung vieler Faktoren, die einen neuen Ansatz für Personalentwicklung in Call Centern notwendig machen.
Personalentwicklung hat sich überhaupt erst in den letzten zehn Jahren richtig durchgesetzt. Unternehmen haben nicht nur erkannt, dass etwas für die Entwicklung von Personal getan werden muss, sondern sie tun auch wirklich viel. In etablierten Call Centern ist eine eigene Personalentwicklungsabteilung absolut normal geworden. Viele Trainer und Coaches kümmern sich um die Einhaltung von Qualitätsvorgaben, schulen, trainieren, analysieren, bewerten und motivieren Mitarbeiter zu Leistungserbringung. Darüber hinaus bieten Call Center heutzutage sehr viel dafür, dass Agents sich bei der Arbeit wohlfühlen können. Flache Hierarchien mit Duz-Kultur, kostenfreie Getränke, regelmäßig Obst und Gemüse, Gesundheits-Checks, bewusst gewählte Standorte für kurze Arbeitswege, gemeinsame Ausflüge und Events und viele weitere Wohlfühlfaktoren sind wertvoll für das Wohl der Mitarbeiter. Warum sollte also eine Veränderung notwendig sein?
| Aufwand statt Ergebnisse
Der wichtigste Grund für eine notwendige Veränderung ist die bisher erzielte Wirkung von Personalentwicklung. Schaut man auf Ergebnisse von gesamten Teams und der einzelnen Projekte, findet selten Entwicklung statt. Die Mehrheit der Agents zeigt signifikante Leistungsschwankungen über Monate hinweg. Faktisch wirken alle bisherigen Maßnahmen eher präventiv - sie verhindern negative Leistungstrends. Das wird auch daran deutlich, dass durchschnittlich 80% der Agents keine dauerhaften Top-Performer werden. Personalentwicklung sollte nicht dort aufhören, wo zu erwartende Leistungserbringung erfüllt wird. Ein grundlegendes Ziel sollte sein, dass ein jeder Mitarbeiter zumindest Anforderungen an seine Arbeit voll erfüllen kann. Dann ist das Team bei 100% und ab dann hat man eine Basis für Entwicklung von Personal. Einzelne Agents wollen mehr leisten, mehr erreichen und sind bereit, mehr zu tun. Das ist eine perfekte Voraussetzung für deren Entwicklung. Ihnen steht Aufmerksamkeit zu. Bei ihnen lohnt sich der Aufwand, den Trainer und Coaches bisher für die große Mehrheit der Agents aufbringen. Wenn also jeder Mitarbeiter mindestens die Anforderungen an seine Arbeitsleistung erfüllt und einzelne Agents ambitioniert sind, bessere Leistung zu erbringen, dann entwickelt sich das Team. Bestenfalls bieten Unternehmen Anreize dafür, dass mehr Agents Ambitionen für persönliche Verbesserung entwickeln.
| Kommunikationsschulung und –training statt Fachschulung
Es gibt viele Gründe dafür, dass Agents Sollziele nicht erreichen. Schlechte Laune, innerer Druck und die Verbreitung von Verärgerung (über Kunden, Systeme, Kollegen, etc.) gehören unserer Erfahrung nach zu den drei häufigsten Gründen. Unmittelbar danach zeigt sich jedoch, dass viele Agents nur wenig Kenntnis im Umgang mit ihren Systemen haben. Auch Produkte und deren Eigenschaften sind bei einer deutlichen Mehrheit der Mitarbeiter nicht vollumfänglich bekannt. So werden Zusatzprodukte von den wenigsten Mitarbeitern angeboten, weil sie die Details der Versicherung, des neuen Handys, der Parkplatzbuchung oder der zusätzlichen App schlicht nicht kennen oder weil sie nicht sicher sind, wie sie im System vorgehen. Wenn darüber hinaus Kenntnisse zu internen Prozessen und zuständigen Abteilungen fehlen, kann selbst dem Service-Kunden nur bedingt geholfen werden. Viele Unternehmen schulen ihr Personal zu Gesprächsstruktur, Bedarfsermittlung, Kunden-Nutzen-Argumentation, verbindlicher Formulierung und zu Methoden, wie sie ein Gespräch aufrechterhalten. Dann erhalten Agents Leitfäden für die Gesprächsführung nach Qualitätsvorgaben und den Rest übernehmen Klicks in den Systemen. Fachliche Sicherheit ist die Basis für die Entwicklung aller anderen Kompetenzen und das sollten Unternehmen für die Personalentwicklung berücksichtigen. Wer fachlich sicher ist, kann Lösungen finden. Wer selbst davon überzeugt ist, Lösungen finden zu können, kann Ruhe, Gelassenheit und Souveränität ausstrahlen und genau das fördert die intuitive Einhaltung einer Gesprächsstruktur mit einer Bedarfsermittlung vor einer Lösungspräsentation. Nicht nur Methodenkompetenz baut auf Fachkompetenz auf. Auch Persönlichkeitskompetenz und Sozialkompetenz werden fast automatisch entwickelt, wenn ein Mitarbeiter weiß, was er tut.
| Seelsorge statt Training
Interne Trainer und Coaches sind in ihrem Handlungsrahmen zumindest hinsichtlich der Weisungsbefugnis von Mitarbeitern eingeschränkt. Disziplinarische Führung obliegt den Teamleitern und dem Management. Trainer können in der Regel nur einen wohlwollenden Ansatz für die Personalentwicklung wählen, der auf Sympathie und gegenseitigem Vertrauen beruht. Fehlen Sympathie und Vertrauen, funktioniert Training so oder so nicht. Allerdings führt die fehlende Kombination aus disziplinarischer und qualitativer Führung häufig dazu, dass interne Trainer verständnisvoll auf unzureichende Leistung reagieren und dann einen eher pseudo-psychologischen Ansatz wählen. Erst hört man sich die vermeintlichen Probleme der Agents an, setzt sie dann in einen anderen Kontext (Framing) und unterstützt die gemeinsame Lösungsfindung. Agents gehen frisch motiviert zurück an den Arbeitsplatz, bekommen bestenfalls noch eine Bestätigung für die Anwendung der eben besprochenen Lösungsansätze und sind dankbar dafür, dass jemand ein offenes Ohr samt Lösung für sie hatte. Mitarbeiter lernen dabei jedoch, dass sie selbst wenig mit ihrer Leistungserbringung zu tun haben. Sind Ergebnisse der Arbeitsleistung unter dem Soll, brauchen sie einfach jemanden, der ihnen zuhört und neue Lösungsansätze präsentiert. So wiederholt sich der Zyklus endlos. Der positive Nebeneffekt für Trainer und Coaches ist, dass sie sich in ihrer Rolle immer wieder bestätigt fühlen können. Aber genau dieser Zyklus verhindert Entwicklung. Es sollte im Interesse von Trainern und Führungskräften sein, Mitarbeiter zur Selbsthilfe zu befähigen. Wenn ein Mitarbeiter nach einer gewissen Zeit mit der gleichen Herausforderung zum Trainer geht, die gleichen oder ähnliche Gründe für unzureichende Leistung nennt und erneut wünscht, dass man Lösungen mit ihm oder für ihn findet, war die vorherige Trainingsmaßnahme schlicht nicht effektiv. In dem Punkt ‚Management statt Führung und Entwicklung‘ weiter unten lesen Sie, wie eine geeignete Lösung dafür aussehen kann.
| Entwicklung von Zahlen statt Entwicklung von Mitarbeitern
Nahezu jede Personalentwicklungsmaßnahme zielt auf sofortige Effekte ab. Selbst teuer eingekaufte externe Trainer bewirken nur für einen begrenzten Zeitraum Veränderung und die Entscheider von Unternehmen wissen das auch. Es geht darum, die Stimmung im Team aufrecht zu halten, damit die Zahlen gut bleiben oder besser werden. Stimmen die Zahlen, gibt es ein Team-Event. Stimmen die Zahlen nicht, gibt es eine Trainings- oder Schulungsmaßnahme. Dass das nicht viel mit Entwicklung zu tun hat, ist selbsterklärend. Entwicklung ist ein Prozess, der von Menschen und mit Menschen durchgeführt wird. Interessant ist dabei die Korrelation, die bisher in der PE missachtet wird: Legt man den Fokus auf Zahlen und macht den Menschen zum Tool, mit dem Ziele erreicht werden sollen, werden sich weder Zahlen noch Mensch entwickeln. Legt man den Fokus auf den Menschen und macht Zahlen zum Tool, mit dem Ziele erreicht werden können, entwickeln sich sowohl Mensch als auch Zahlen.
Lernen ist Erfahrung. Alles andere ist einfach nur Information.
- Albert Einstein
| Management statt Führung und Entwicklung
Personalentwicklung funktioniert nicht ohne Führung. Führung wird dem Namen nicht gerecht, wenn sie nicht aktiv zur Personalentwicklung beiträgt. Häufig ‚übergeben‘ Geschäftsführung, Projektmanagement und Teamleitung die Aufgabe der Personalentwicklung an die ‚zuständige‘ Abteilung im Unternehmen. Ab jetzt entsteht ein riesiger Arbeitsaufwand zum Zweck der gegenseitigen Kontrolle. Führungskräfte wollen berechtigt wissen, was im Rahmen der PE mit ihren Mitarbeitern gemacht wird. Sämtliche Maßnahmen müssen in Absprache mit der Führung geplant und organisiert werden. Danach wird alles dokumentiert, protokolliert und in Ordnern abgelegt, die für die Führung zugänglich sind. Wenn eine gemeinsame Auswertung stattfindet, diskutieren Führungskräfte und Trainer ggf. noch über deren unterschiedliche Wahrnehmung zu Eignungen und Eigenschaften einzelner Mitarbeiter. Teamleiter und Projektmanager meinen, dass Trainer und Coaches zu wenig für die Entwicklung des Personals tun und Trainer haben das Gefühl, dass die Führungskräfte kontraproduktiv handeln. Unabhängig vom Ausmaß möglicher Unstimmigkeiten können Unternehmen dieses gesamte Konstrukt völlig umgehen. Führungskräfte können viel zur Personalentwicklung beitragen, indem sie ihre alltäglichen Aufgaben in vier Kategorien gliedern: operative, administrative, qualitative und disziplinarische Aufgaben. Operative Aufgaben fallen extrem selten an. Administrative Aufgaben sollten hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit immer qualitative und disziplinarische Tätigkeiten begünstigen. Die Teamleitung wertet also Ergebnisse des Vortages aus, um auf Basis dieser Erkenntnisse am heutigen Tag qualitative oder disziplinarische Aufgaben durchzuführen. Die Erstellung des Dienst- oder Schichtplans ist Basis für Erwartungen an Zuverlässigkeit und Planbarkeit der Mitarbeiter. In vielen Unternehmen können administrative Tätigkeiten automatisiert werden oder gar wegfallen. Auch Führungskräfte genießen es, zwischendurch mal monotone Aufgaben zu erledigen, die einzig für deren Erfüllung gemacht werden. Strukturieren Führungskräfte ihre Aufgaben jedoch zielführend, kann viel Zeit für qualitative und für disziplinarische Tätigkeiten geschaffen werden. Dann kann die Teamleitung Fachkenntnis vermitteln, Feedback-Gespräche führen, Ergebnisse auswerten, motivieren, Richtung weisen, KPI erläutern, Projektziele kommunizieren und sie kann so die perfekte Schnittstelle zwischen Interessen des Unternehmens, der Auftraggeber und der Agents bilden. Ab dann kann Führung mit Entwicklung stattfinden.
| Müssen statt Wollen
Aus Sicht des Unternehmens sind PE-Maßnahmen wertvoll und wichtig für die Qualität der Telefonie, die gegenüber Auftraggebern gewährleistet werden muss. Aus Sicht der Mehrheit der Agents sind die Maßnahmen jedoch genau das – Maßnahmen. Es sind Pflichtveranstaltungen, an denen die Mitarbeiter teilnehmen müssen. Es mag ein impliziter Zwang sein, aber er wird deutlich wenn man sich vorstellt, dass Agents sich weigern (würden), an einer Maßnahme teilzunehmen. Sicherlich müssten sie ihre Entscheidung jemandem gegenüber rechtfertigen. Einige Agents sehen es als Gelegenheit, für eine Zeit lang nicht telefonieren zu müssen. Andere Agents sehen die Maßnahmen als etwas, das sie freundlich grinsend und nickend über sich ergehen lassen, bis sie wieder in Ruhe gelassen werden. Tatsache ist, dass nahezu der gesamte Bereich der Personalentwicklung aus Sicht der Mitarbeiter fremdbestimmt ist. Das kann gravierende Auswirkung auf die intrinsische Motivation haben (Drei Faktoren für den Aufbau intrinsischer Motivation – Dan Pink), es kann signalisieren, dass man Agents nicht zutraut, ihren Job richtig ausüben zu können und es kann Einfluss darauf haben, dass Agents Erfolg und Misserfolg nicht auf eigene Handlung zurückführen. Qualitative und quantitative Kontrolle ist bei der Arbeit in Call Centern unumgänglich. Es ist jedoch nicht so, dass Vertrauen gut und Kontrolle besser ist. Beide sollten einander ergänzen. Den Agents kann das Vertrauen entgegengebracht werden, Ergebnisse ihrer Arbeit selbst im Blick zu haben und entsprechend zu melden, wenn Vorgaben nicht erreicht werden. Die Führungskraft verantwortet jedoch den Erfolg des Projekts und hat ebenso eine Verantwortung den Agents gegenüber. Bevor also mögliche Konsequenzen gravierend sind, sollte die Einhaltung von Vorgaben regelmäßig kontrolliert werden. Erkenntnisse aus dieser Kontrolle sollten jedoch nicht als Maßnahmen an die Agents kommuniziert werden. Hier kann man erneut Vertrauen aufbauen, indem man als Führungskraft darauf hinweist, welche gravierenden Konsequenzen es zu vermeiden gilt und wie der Agent konkret dazu beitragen kann.
| Fazit
Personalentwicklung in Call Centern muss sich verändern, weil Entwicklung mit Ergebnissen zu tun haben muss und nicht mit Aufwand. Sie muss sich verändern, weil Entwicklung mit Fachkompetenz beginnt. Ohne fachliche Sicherheit gibt es keine Experten – in keiner Branche. Personalentwicklung braucht keine bedingungslos verständnisvolle Fürsorge, sondern Diplomatie, Disziplin, Ehrlichkeit und Fairness. Fair ist nicht nur, wenn sich jeder an Vereinbarungen hält – fair ist auch, dass es akzeptable Konsequenzen gibt, wenn man sich nicht an Vereinbarungen hält. PE braucht Führung, damit Entwicklung stattfindet und diese Führung muss sich auf Menschen konzentrieren und nicht auf Zahlen. Schlussendlich darf Personalentwicklung aus Sicht der Mitarbeiter nicht fremdbestimmt sein. Nur ein Mitarbeiter, der sich selbst entwickeln will, wird sich entwickeln. Es ist Aufgabe der Unternehmen, diesen Willen zu fördern.